Interpretation von Kurzgeschichten: Die Optik einer Geschichte – Was muss an einem Text auffallen?

Kapitel 1

Ihr habt euch die Geschichte einmal durchgelesen. Wenn ihr noch nicht genau verstanden habt, was darin vorgeht oder was sie euch sagen soll, ist das nicht so schlimm, viele Texte muss man mehrmals durcharbeiten, bevor einem das entscheidende Licht aufgeht.

Jetzt befasst ihr euch erst mal rein mit der Optik! Gerade in kurzen Geschichten steht kein Wort, kein Satz und kein Absatz zufällig an irgendeiner Stelle. Gewöhnlich steckt hinter allem eine Absicht der Autoren, und wenn es nur eine sinnvolle Voreinteilung in einzelne Textabschnitte ist, die ihr dann gerne übernehmen dürft.

Was muss euch an einem Text auffallen?

Absätze
Aus wie vielen Absätzen besteht die Geschichte? Kennzeichnet sie euch (zum Beispiel mit einer geschweiften Klammer), zählt sie durch und nummeriert sie! Wenn euch gleich ein Schlüsselwort, eine kurze Überschrift oder ein Gedanke für die einzelnen Absätze einfällt, notiert euch das direkt daneben.

Was enthält der Text an Satzzeichen?
Punkte sind normal, die müssen nun mal vorkommen, aber alles andere nicht.

Viele Fragezeichen machen einen Text interaktiv, sie beziehen den Leser mit ein und fordern ihn zum Nachdenken auf. Das freut die meisten Leser und hält sie bei Laune. Man fühlt sich angesprochen.
Deshalb können Fragezeichen auch ein Hinweis auf Manipulationsversuche sein. Ihr wisst schon, wie bei einem Telefonverkäufer, der erst einmal drei banale Fragen stellt, die jeder auf jeden Fall mit Ja beantworten würde.

  • Würden Sie nicht lieber billig einkaufen?
  • Möchten Sie sich lange Wege sparen?
  • Lieben Sie Ihre Familie?

… um dann mit dem entscheidenden Anliegen um die Ecke zu kommen, das hoffentlich auch bejaht wird (Dürfen wir Ihnen unsere Unterlagen zuschicken?)
Fragezeichen sind auch dann praktisch, wenn die Autoren sich selbst eine Frage stellen und sie anschließend selbst beantworten. Wenn ihr darauf achtet, habt ihr eine reelle Chance, zu erfassen, worum es in dem Text geht.

Viele Ausrufezeichen erzeugen eine eher “laute”, gereizte Stimmung im Text. Der Leser fühlt sich entweder angeschrien oder herumkommandiert, das macht eventuell sogar aggressiv. Manchmal entsteht auch der Eindruck von Hysterie, denn mit Ausrufezeichen sollte man eigentlich eher sehr sparsam umgehen. Ihr wisst ja, schon der berühmte englische Autor Terry Pratchett sagt in einem seiner Bücher (sinngemäß): “Wenn mehr als drei Ausrufezeichen hinter einem Wort verwendet werden, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Verfasser seine Unterhosen auf dem Kopf trägt.” Das gilt übrigens auch im Internet.

Ausrufezeichen können darüber hinaus natürlich auch als Aufforderung begriffen werden, sie haben eine so genannte Appellfunktion. Hier appelliert jemand an euch.

  • Autofahren unter Alkoholeinfluss sollte grundsätzlich nicht erlaubt sein!
  • So eine Katastrophe darf einfach nicht wieder passieren!

Viele Kommas bedeuten eine Menge Aufzählungen und oft lange Satzgefüge. Das ergibt entweder eine gehetzte und atemlose Lesbarkeit – ein probates Mittel für Übertreibungen (Hyperbeln) und somit für Ironie. Oder ein Text wird dadurch besonders kompliziert und anstrengend zu erfassen.

Gedankenstrich (Spiegelstriche) erzeugen sichtbare Pausen im Text. Zum Luftholen oder zum Nachdenken – das, was dahinter kommt, ist immer wichtig. Seht es euch genau an!

Wie steht es mit der Länge der Sätze?
Beim Überprüfen der Satzzeichen ist euch sicher auch schon aufgefallen, ob es sehr lange oder sehr kurze Sätze gibt. Es gibt Autoren, die das eine oder das andere bevorzugen. Wenn lang oder kurz also durchgehend auffällt, könnt ihr das schon mal als “Stil” notieren. Kommt es nur in einzelnen Fällen vor, müsst ihr später überprüfen, wie es zum Inhalt passt.

Verkürzte, abgehackte Sätze sollen energisch, zupackend, patent und schnell wirken, manchmal aber auch überstürzt und nervös. Und sie befinden sich näher an unserer täglichen Umgangssprache. Lange, verschachtelte Sätze dagegen verlangsamen den Lesefluss, machen Inhalte kompliziert und sprechen oft für Verwirrung, Umständlichkeit und Unentschiedenheit. So kann man gewöhnlich nicht aus dem Stand sprechen.

In der Fachssprache nennt man die Schachtelsätze übrigens Hypotaxe oder hypotaktischer Satzbau. Eine Folge von Satzreihen (Hauptsatz + Hauptsatz) heißt Parataxe oder parataktischer Satzbau, und ganz verkürzte Sätze, in denen Teile ausgelassen wurden, nennt man Ellipsen.

Wortarten
Auch hier lohnt sich genaueres Hinsehen. Kommt eine Wortart bevorzugt vor? Benutzt der Autor/die Autorin besonders viele Substantive, Verben oder Adjektive und Adverbien?

Viele Substantive machen einen Text eher sperrig, unelegant und kompliziert. Man nennt das Nominalstil und im Allgemeinen wird es als schlechter Stil angesehen – aber vielleicht beabsichtigt der Autor/die Autorin etwas damit. Vielleicht möchte er oder sie zum Beispiel den Eindruck einer gestelzten, altmodischen Ausdrucksweise erwecken. Vielleicht ist es aber auch einfach schlechter Stil oder ein Stil, der euch persönlich nicht gefällt, dann dürft ihr das gerne später erwähnen.

Verben dagegen führen zu einem flüssigen, fließenden und dynamischen Stil. Da ist Bewegung im Text und Auge und Hirn folgen gerne.

Adjektive sollte jeder Text im Angebot haben, aber hier kommt es ganz auf die Auswahl an. Manche Autoren erfinden sogar eigene Wörter, um Personen oder Situationen zu ihrer Zufriedenheit beschreiben zu können. Darauf müsst ihr natürlich unbedingt achten! Und auch sonst sollte euch nicht entgehen, aus welcher Kategorie die Adjektive oder Adverbien stammen: Sind sie eher fröhlich? Traurig? Dunkel oder hell? Gut oder böse? Schön oder hässlich? Das sagt natürlich auch etwas über die Stimmung und Atmosphäre der Geschichte oder einzelner Passagen aus.
Sollten Adjektive auffällig fehlen, heißt das andererseits, dass der Autor/die Autorin sehr sachlich bleiben wollte und keinerlei überflüssige Informationen herausgibt.

Wiederholungen
Werden innerhalb einer so kurzen Geschichte, wie ihr sie bekommt, Wörter, Ausdrücke oder Sätze auffällig wiederholt, heißt das niemals, dass der Autor/die Autorin an Alzheimer leidet oder keine Lust hatte, sich etwas anderes auszudenken, sondern dass diesen Erscheinungen eine ganz besondere Bedeutung innerhalb des Textes zukommt. Damit müsst ihr euch also unbedingt auseinandersetzen!

Verschiedene Stilmittel fallen in die Kategorie „Wiederholung“. Hier die wichtigsten, die einem auch rein optisch auffallen können.

Alliterationen
Ich sage es mit dem alten Werbespruch: „Milch macht müde Männer munter“ Kapiert? Alliteration nennt man eine Anhäufung von gleichen Anfangsbuchstaben. Sie kommt eher in leichten, witzigen Texten vor, denn es soll natürlich auch witzig wirken.

Anaphern und Epiphern
Hier handelt es sich um die Wiederholung von Satzanfängen (Anapher) oder Satzenden (Epipher). Das geht mit einzelnen Wörtern oder auch mit Satzteilen. Es müssen nicht brav zwei Sätze hintereinander sein, diese Stilmittel können auch innerhalb eines Satzes auftreten oder zu Beginn von verschiedenen Absätzen eines Textes.

Kapitel 2: Arbeiten mit dem Inhalt – Wer? Wo? Was?

4 Kommentare

  1. In der Checkliste steht geschrieben: „Ich habe für jeden Absatz eine kleine Inhaltszusammenfassung erstellt“. Wie geht man vor wenn es ein Fließtext ohne Absätze ist?

    • Hallo David!
      In diesem Fall muss man sich den Text selbst in Abschnitte einteilen, je nachdem was am besten ersichtlich ist, z.B.:
      Gibt es einen chronologischen Ablauf?
      Wechselt der Text zwischen Gegenwart und Vergangenheit oder Realität und Fantasie oder innerem Monolog und Dialogen?

      Viele Grüße
      Silke Günther

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